Porträt eines Philosophen
Wâhrend der Fahrt in den Krieg im Oktober 1941, als
der russische Winter beginnt und der deutsche Vormarsch zum Stocken kommt
schreibt ein frisch gebackener Doktor der Philosophie Feldpostbriefe
nach Hause.
Wâhrend er
den Krieg draussen betrachtet, Rätsel löst (die von Brentano), das Elend
draussen –
„oh lass mich schweigen davon“
und von dem Rätselraten wieder in die Meditation der
Philosophie zurückkehrt, über die Kritik der Urteilkraft, den Kantischen
Imperativ nachdenkt, immer und immer wieder auf die praktischen Probleme einer geknickten
Universitätskarriere zu sprechen, vielmehr zu schreiben kommt:
„Ich bin übrigens guten Mutes und voll Zuversicht, wie Du
wissen sollst; heute Nacht träumte ich von meiner Habilitation, und ich habe
überhaupt so ein Gefühl, als brächte mich dieses Unternehmen nicht von meinem
Ziel ab, im Gegenteil“ (Brief vom 4.Oktober 1941)., während er hin- und
herwandert und die Möglichkeiten Revue passieren, um zu Habilitation zu
gelangen
„Im übrigen habe ich die schöne Gewissheit, dass dieses
Kriegserlebnis unendlich viel in meine geistigen Scheuern bringt, und ich freue
mich schon sehr auf die Zeit, wo ich dieses Getreide dreschen und ausmahlen
werde können.“
(Brief vom 30.12. 1941)
Diese
Fahrt in den Krieg zu beschreiben als einen Weg in die Philosophie war das ursprüngliche Ziel des
Drehbuchs-Filmprojektes, das sich vorgenommen hatte, anhand der Feldpostbriefe
das Paradox einer Philosophie zu verstehen, die über Ethik und Geltung von
Ethik philosophiert,
und dabei in die Rolle des tatkräftigen Handlangerr der
Nationalsozialisten hineinwuchs.
Denn wer hier die Zuversicht der philosophischen Ernte
ausstrahlt ist Wolfgang Ritzel,
geb 19.08.1913 der 1937/38 bei Bruno Bauch „Über den Wandel der
Kantauffassungen“ promovierte und später, viele Jahre später Professor für Philosophie und
Pädagogik in Bonn wurde.
Von meinem Vater Ulrich Ritzel wurden zu diesem
Zweck die Feldpostbriefe transkribiert, in einem Privatdruck editiert – und mir
zur szenischen und filmischen Bearbeitung übergeben.
Durch diesen „Auftrag“ wurde dieses Porträt
jedoch zu einem Porträt der
Familiengeschichte, einer spannungsgeladenen Auseinandersetzung
Vater-Tochter-Grossvater-Enkeltochter,
und mich dazubrachte auch die „Urgrossvaterwelt“ in
das Projekt mithineinzunehmen:
100 Jahre Philosophiegeschichte von 1914 –2014 (und darüberhinaus).
Eine Philosophiegeschichte, die mit dem Urgrossonkel Hermann Ritzel beginnt, und
fast wieder endet, mit einer Schülerschaft bei Husserl mit
„Nervenzusammenbrüchen“ und bei
einer ersten abgelehnten Dissertation mit einer posthumen Publikation im Husserl-Jahrbuch eine grössere Resonanz fand.
Eine PhilosophieFamiliengeschichte also, in
der auf ganz merkwürdige Weise
Einfluss und fehlende Publikation, Karriere-Abbruch und fortwirkende Ideen
miteinander verflochten sind (Hermann war mit J.Daubert befreundet, der Zeit
seines Lebens keine Zeile publizierte) so dass der Zwiespalt zwischen
arrivierter institutioneller Philosophie und Aussenseitern, der die
Philosophiegeschichte seit Sokrates
durchzieht
Der Haken dabei ist natürlich - offensichtlich - dass das ICH der Recherche, ich. Nataly Ritzel, keine Philosophin bin und weder universitäre noch anderweitige Unterstützung für dieses Projekt erfahre.
Philosophie beginnt also in gewisser Weise mit dem Thema des SELBSTMORDS und des Scheiterns - der öffentlichen Blosstellung, das sich von Hermann, Albert Ritzel bis zu mir ziehen -
mit philosophischen Bilder, die den philosophischen Dirkurs der mnemosyne udn der Erinnerung, der Wiedererinnerung durchziehen -und die in meinem Mund, in meiner Recherche manchmal am falschen Ort wieder hervortreten:
mit Fragen der HALTUNG, die sich von sokratischen Dialogen des Menon und des Theaitetos bis zu Fragen an Idomeneus, Japhta ziehen- eine dringliche, drängende Farge, die Carl Theil an Martin Buber richtete..
Das Spannungsfeld zwischen den aktiven und einflussreich
gewordenen Mitgliedern der Familie Fath
und dem den verstorbenen Zweig der Ritzel
(im Ersten Weltkrieg gefallenen) Albert und Hermann
Ritzel:
- Albert der bei E.Rutherford in Manchester studierte, mit Herbert
Finlay Freundlich in Leipzig und in Jena Privatdozent wurde, und:
- Hermann Ritzel, der in München studiert hatte
- deren
Freunde, das Ehepaar Carl Theil, bei denen Wolfgang später wohnte - deren Kontakte zur Reformpädagogik zu Paul Geheeb (Odenwaldschule) und Petersen, der Jenaplanschule- aber vorallem zu Martin Buber und Elisabeth Rotten besass - schliesslich
auch Mitglieder der
Montessori-Bewegung, die
sich in wenigen aber kräftigen Spuren bis 1941 und für die
Amsterdamer / indische
Montessori-Bewegung bis 1980 nachweisen lassen.
Die Kontakte des Vaters und des Onkels, ihre
Verbindungen wurden – von Wolfgang Ritzel bis 1939 lebendig gehalten und genutzt. Sie haben seine Studienjahre in der Zeit von 1933 –
1938 massiv geprägt. Wer genau hinsieht, dem zeichnet sich ein anschauliches Bild vom Umbau der
deutschen Universitâten und der Destruktiond es Wissenschaftsbegriffes... Indem der Abbau der philosophieschen Lehrstühle zugunsten dubioser
Fächer wie Ahnenforschung und Erbhaltungslehre erfolgt, dem Verschwinden
deutscher Physiker und Naturwissenschaftler....
Die offene Seiten, noch ungeklärte Fragen liefern
Stoff Zu einem Lehrstück über : -
Opportunistischen Widerstand...?
Zu leisem oder aktivem Widerstand..wie bei den
Freundlichs...zum Aufstieg...wie
im Fall des Otto Risse.
So lässt sich mit weiteren Tagebüchern und Briefen ein detailliertes Bild der
Studienzeit des Wolfgang Ritzel
zeichnen, das über den trocken akademischen Weg zwischen
Heidegger und Neukantianismus noch andre wichtige Personen, und Ideen Mouvements zu einem
weitgespannten Feld an Beziehungen und Namen aufzieht, das bis in den engen Umkreis Hitlers: dem von Rudolf Hess reicht.
Die jûngste, kaum wenige Jahre ältere Tante
Wolfgang Ritzels war Hildegard Fath, die kurz nach Wolfgangs Matura und bei
seinem Studiumsbeginn ihre Stelle im Hause Hess als Privatsekretârin
anstritt.
Das Spannungsfeld, zwischen dem Reichparteitag im Herbst 1935, und dem Privatissiumu bei einem
Privatgelehrten namens P.F. Linke, Jena, der ihn ins die Schriften Husserls und die seines
Onkels Hermann Ritzel unterweist.
Die Abende im Hause Theil, der tagsüber vielleicht an Martin Buber geschrieben hatte, um ihm Korrekturen zurückzusenden - während Wolfgang Ritzel, oben drüber in seinem Stübchen an seinen Freund Abs Joosten einen Brief verfasste.
Der Hausherr spiele so schlecht Klavier, schreibt Wolfgang Ritzel an seine Mutter - das Problem ist nur: Carl Theil spielte nicht Klavier, er komponierte für Blockflöte.
Nun ist die Frage nach dem (bescheidenen) philosophischen Widerstand, vielleicht nur von untergeordnetem
akademischen Interesse, die Frage ist, ob in dem ab dem Jahr 1933 angesagten Klima „Neukantianer-Bashings“ – wenn ich die
Arbeit von U.Sieg so umschreiben darf („Aufstieg und Niedergang des Marburger Neukantianismus“)
– vielleicht, aber vielleicht auch nicht – einen leisen, insignifikanten
Beitrag des Widerstands geleistet hat –
als er in seiner Doktorarbeit von 1938 eine bescheidene Würdigung des jüdischen
Neukantianiers Hermann Cohen verfasste.
Diese Spannung - zwischen Schweigen und Rekonstruktion, zwischen Verrat und
Widerstand, zwischen Zensur und literarischer Vernichtung, dieser Streit der philosophischen Schulen, der
mit „vernichtenden“ Mitteln geführt und nach 1945 nur „schweigend humanistisch“ ausgefochten wurde:
Einem Schweigen, das Theil gilt, Buber und Geheeb, auch
Wagenschein, um nur einige der willentlich vergessenen Pädagogen zu nennen (Bollnow hatte ihm das vorgeworfen: Wagenschein vergessen zu haben in seiner, Wolfgang Ritzels 'Geschichte der Philosophie und Pädagogik des 20.Jahrhunderts'. ) Das Schweigen, mit der Nachlass des Hermann Ritzels aufgeräumt wurde, um Platz zu machen in den Jahrzehnten von 1947 bis
1984 für eine Philosophie die nach
1945 nur noch vom 18.Jahrhundert redet.
Eine Philsoophie die sich mit Ansichten des Waldes
von Montmorency schmückt, so als
seien dort Hirten noch zu Gange und rousseauistische Bilder von Immanuel Kant –
Die Spannung möchte ich gerne, schon alleine der
Materialfülle halber, in mehreren Projekten abarbeiten, die sich jedoch ergänzen
und auf einander beruhen.
Dabei war es mir wichtig, auf eine Ökonomie des akademischen Wortes, einer
Abstufung von Sprache, Schrift und Bild, Atmosphäre und Landschaft zu achten.
„BUNKERNACHT“
Drehbuch für einen Spiel-Film
(Synopsis)
„Husserls Beerdigung“
(Theaterstück
in 5 Wohneinheiten)
"Kriegsmaschine."
Roman
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