Samstag, 27. November 2021

Bibelübersetzung : Preisungen in der Korrektur Carl Theils

 Jena, den 28.X.35. 

 Lieber Freund! Dank für Deinen Brief! „Gewichtiges“ habe ich kaum zu sagen, also müsste ich wohl schweigen, dennoch gibt es manches, das mir wichtig ist, und einiges davon, sonderlich was sich auf den I.Psalm bezieht, möchte ich Dich wenigstens wissen lassen. Ich lege die ersten Blätter meiner Notizen deshalb bei. Am meisten zu schaffen macht mir die fast durchgehende Ersetzung des knappen kernhaften „Wohl“ durch das zwei - oder gar dreisilbige „glücklich“ und „glückselig“, das mir nicht nur substanzärmer und deshalb schwächer und blasser, sondern auch neben(?)deutiger erscheint (vielleicht habe (ich?) auch persönlich eine stärkere Abneigung gegen dies Wort). Wenn es aber eingesetzt werden soll, was ich nur mit Bedauern geschehen sähe, dann ist PS.89 S. 147 ? noch eine Stelle stehen geblieben. Wohl dem Volke, die auch beseitigt werden müsste. Überhaupt - Dir darf ich das sagen, und Du wirst es verstehen - hänge ich in der größeren Zahl den Änderungen dennoch den Erstfassungen an - nun in der kleineren scheinen sie mir unzweifelhafte Verbesserungen. Dies nicht nur, weil mir die erste Fassung durch das Lesen Wort um Wort die Vertrautere geworden ist, sondern ebenso sehr darum, weil ich glaube, daß der sprachebildende Genius beim ersten Ansatz mehr ahnend als bewußt in die dunklere Tiefe greift und daher seine Wortwahl schöpft. 135 Einige Beispiele: PS.18 (S. 33?, Z.5 v.u.) „.“ - „hart (1.fassung) „Lassem“ -“stark“ (2.Fassung) wie viel schöner ist da alliterierende „hart“! PS 35 (S.67, Z. 9 v.o.): „ da der stößt“ ist in 2 F. ein Kausalsatz geworden: unvergleichlich viel stärker, aber durch Interpunktion kenntlich zu machen, der aspe?Hauptsatz! PS 49 (S.98, Z.8 v.u.) „zermorschen“ - „...“ dies sicher nur eine Kleinigkeit, aber dennoch nicht bedeutungslos: es gibt hier aben keine Kleinigkeiten! Ps. 68 (S. 128, Z.5 v.o.) „schwingst“ - „sprengst“, 1. F. weit bildhafter, michelangelesk. Ps.72 (S.139, Z.8 v.o) „aufschluchzt“ - „klagt“: wie viel mehr gibt die 1.F. die .menschliche Situation! Ps. 74 (S.145,Z.4 v.u.) „schändlich Volk - schmähe“ (1.F) „ - lästere“ (2.F.) das einsilbige „schmähe“ ist (nicht nur der vokalisch verstärkten Assonanz wegen mächtiger als das zweisilbige „lästere“. Ps. 89 (S.174/6) „Luftraum - „Äther“ S. 176 ist die Form „schwor“ stehen geblieben, während Ps. 95 S. 187 und ebenso Ps. 132, die Form „schwur“ haben. die gleiche Form Ps. 24 „der zum Truge nicht schwur (herrlich, das dreifache u!) ist jetzt perfektisch geworden. Ps. 109 (S.215 Z. 3 v.o.) „Ich aber bin nur Gebet“ möchte ich das „nur“ keinesfalls missen: hier ist Kühnheit des Dolmetschens geboten! Ps. 137 (S. 258, Z. 4 v.o.) „Vergewaltigte“: darin liegt ge- 136 rade die Größe des Ausdrucks, daß hier Zukunft als bereits geschehen vorweggenommen wird! PS 144 (S.267, Z. 12 v.o.) „unter mich streckt“ (1.F) „mir unterwirft“ (2.F) (dies ein besonders ... Beispiel). Ebenso die Ersetzung der Vulgarismen „zerschmeißen“ „schmieren auf“ durch blassere „Übertünchung“ Und so noch viele Stellen in denen ich ..der 1.F. den Vorzug gäbe. Vom Sprachlichen her - *wie es mit dem Philologischen stünde, müßte ich von Fall zu Fall fragen. Wie gesagt, ich möchte Kolon um Kolon mit dir rechten. Ein paar Stellen aber zeigen, daß Du Dich für eine andere Lesart oder Interpretation entschlossen hast: Ps. 65 Anfang: „Dir ist tiefstille Preisung“ („tiefstille“ ist doch sonst üblicher Euphemisms für Tod). Einschneidende Änderung, die völlig neuen Sinnzusammenhang ergibt, aber Ps. 90 „oder eine Wache in der Nacht“. Ists hier nur vertraute Gewöhnung, die uns die „Nachtwache“ so teuer macht? Ist der Gewinn des Parallelgliedes so groß, daß er die Beziehung dieses Kolons zum folgenden Abschnitt erzwingt? Es gibt doch offenbar, wie auch deine 1.F. beweist, Lesarten, die die Nachtwache als Parallelglied zum gestrigen Tage ziehen. (Ganz abgesehen davon, daß doch schließlich auch Kinder am Tage erzeugt werden. Also will mir hier die Herbeiholung der Parallele zum Schlaf nicht so bedeutsam erscheinen, vor allem nicht so monumental wie die Verbindung dieses Kolons mit dem vorhergehenden.) 137 Eine Änderung, die mir persönlich fast schmerzlich ist, ist der Schluß von Ps.91 „auf meine Freiheit lasse ich ihn sehen“ Es ist dieser Schluß mir in der 1.F. eine Verheißung, genau wie der Schluß von Pf.50, und dieser Verheißungscharakter geht durch das hinzugefügte „auf“ völlig verloren: es ist eine bloße Aussage, allenfalls eine unverbindliche Zusage, eine Aussage ohne jedes Obligo Gottes geworden. „Auf meine Freiheit lasse ich ihn sehen ?“ - aber ob ich sie ihm auch zuteil werden lasse, daß er selber sie sieht und erfährt, steht noch dahin, während die Verheißung aber das genaue Gegenteil ist: aus der Freiheit Gottes gegebenes Obligo, das einzulösen er gewillt ist. (Du weißt, wie ich diese Stelle liebe, und warum). Die entscheidende Stelle ist aber Ps. 125: „Die abbiegen aber, ihre Krümmnisse läßt Er sie gehen“. Hier am allerwenigstens möchte ich die 1.F. preisgeben, denn diese Stelle bedeutet mir den Durchbruch einer ganz neuen, bisher unerhörten Gotteserkenntnis (weit mehr als bloß einer neuen „theologischen“ Erkenntnis), einzig und allein vergleichbar der Gotteserkenntnis der berühmten Amosstelle (9,7; vgl Königtum Gottes S.73) und dieser ungeheure Durchbruch wird durch die ganz substanzlose 2.F bis auf die letzte Spur ausgelöscht. Oh Freund, diese Stelle darf nicht abgeändert werden, wenn auch irgend eine besser beglaubigte Subalternlesart dies nahe legen sollte. Es gibt kein aktuelleres Wort im ganzen Psalter! Keines, das mich mehr, bis ins innerste Herz getroffen hätte: 138 ich kann Dir nun diese meine unmittelbarste Erfahrung zur Rechtfertigung anführen, da mir die Erkenntnis des Textes (?) versagt ist, und möchte mit leidenschaftlicher Inbrunst mit Dir darum kämpfen, um Dich zu überzeugen: hier, wenn sonst irgendwo, geht es um die Rettung oder Wiedergewinnung des echten Wortes! Lass mich bald wissen, wie Du Dich entschieden hast! Es gäbe noch Hunderte von Stellen, um die ich Dich fragen müsste, aber keine liegt mir so am Herzen wie diese eine und einzige. Damit Du den Brief morgen früh hast, muß ich jetzt abbrechen, wäre nicht der letzte Sonnabend und Sonntag ganz mit Proben und Konzert ausgefüllt gewesen, hätte ich wenigstens das doppelte bis dreifache noch zu Papier bringen können - so nimm * *Vorlieb mit diesen Wenigen! Dein C

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