Dienstag, 31. März 2020

Wolfgang Ritzel über Carl Theil


Der alte Wolfgang schreibt: Bonn, den 2.Juli 1982 

Liebe ......!
So darf ich Sie doch anreden, nachdem ich für Sie der Onkel Wolfgang bin – zu meiner Freude, wie mir Ihr ganzer langer Brief zur bewegten Freude gereicht. Oft habe ich nämlich in den zurückliegen- den Jahren an Sie und die Ihren ...gedacht...
Denn die beiden Jahre vom Herbst 1935 bis Frühwinter 1937 die ich als Jenaer Student im Hause Carl Theils, Beethovenstraße/ Ecke Sedanstraße wohnen und am Leben der Familie teilnehmen durfte, zählen zu den wichtigsten und unvergeßlichsten meines Lebens, auch zu den letzten unbe- schwerten, ehe der Krieg sich abzeichnete und schließlich kam . –
Eben hab ich versucht, das Haus und die Aufteilung des Erdgeschosses aus dem Gedächtnis zu skizzieren. Der Garten war zwischen Haus und Sedanstraße breiter als auf meiner Skizze, auch zog er sich in Richtung Sedanstraße noch ein gutes Stück bergab. Auch die Raumverhältnisse sind von mir nicht richtig angegeben. Im großen Wohnzimmer wurden die Mahlzeiten eingenommen, an heißen Sommertagen wohl auch in der anschließenden verglasten Veranda. Ich habe die Skatecke angege- ben, da sassen wir eigentlich jeden Abend, zu diesem Treiben begab sich auch Carl Theil aus seiner Klause, die er sonst eigentlich nur zu den Mahlzeiten verließ.

Carl Theil war zu jener Zeit auf der einen Seite voll Sorge der vaterländischen und weltweiten Angelegenheiten wegen und zudem bitter, weil man ihn aus dem Amt gejagt hatte; andererseits hatte man ihm nichts Böses getan, zahlte ihm seine Pension; die materielle Situation war schlecht und die Sorge um das Studium der Kinder nicht bedrückend..... So lebte er ganz behaglich mit seinen noch nicht 50 Jahren, las und schrieb – sein Hauptinteresse galt Martin Buber, mit er auch persönlich verbun- den war. Und für seinen Flügel fand er auch Zeit.





Wolfgang Ritzel,
Bonn, le 2.juillet 1982 


Ma chére...
Ainsi j’ai le droit de m‘adresser à vous, en étant l’oncle Wolfgang pour vous – à mon plaisir, tout comme votre longue lettre est source d’une grande joie. Car souvent, les années dernières, j’ai pensé à vous et les votres...
Ces deux années lá, de l’automne 1935 jusqu’à l’hiver 1937, pendant lesquelles j’avais le droit de séjourner comme étudiant dans la maison de Carl Theil, située Beethovenstrasse / angle rue Sedan, et participer á la vie familiale, comptent parmi les plus beaux et les plus inoubliables de ma vie, ainsi sont ils de ces dernières années insouciantes, avant que la guerre ne se designe á l’horizont et puis éclata.
A l’instant je viens de faire une esquisse de la maison et de la repartition du rez-de chaussée par ma mémoire. Mais le jardin fut plus large entre maison et le rue de Sedan – que dans mon esquisse, et il s’étirait un bon morceau en descendant la pente vers la rue Sedan. Les proportions des chambres ne sont non plus sont reparties d’une manière adéqute. Dans la grande salle de séjour les repos ont été proposes, pendant l’été, aux journées trop chaudes, souvent sur le veranda sous verriéres. J’ai désigné le coin où nous jouâmes aux cartes, quasiment chaque soir, auquel jeu Carl Theil participa, bienqu’il sortisse de son cabane seulement pendant les repas.

Carl Theil se faisait beaucoup de souci à cause des affaires nationaux et mondiales et réagissait amer, car on l’avait chassé de sa poste; de l’autre côté on ne lui avait pas fait mal, en continuant lui verser sa pension; pourtant la situation économique était mauvais
et la peine pour finir l’education de ses enfants n’était pas écrasante...Ainsi il vivait avec ses cinquante années pas encore passes, bien installé, pouvait lire et écrire – son intérêt principale portait sur Martin Buber, avec lequel il était lié en amitié. Même pour son piano à queue, il trouva du temps. 



aus: Bunkernacht-project, Die Jahre 1933 - 1935 
700 Seiten, dt.frz.

ISBN: 9783751905893

Donnerstag, 26. März 2020

Postthum

In den letzten Zeit höre ich oft den Satz  „Das würde ich mir nicht erlauben“,
gekoppelt mit einem:  HOW DARE YOU
so mit dem Andenken der Familie umzugehen.

Nun stehen wir nicht auf einem Friedhof
auch wenn die Geste, die mir dabei in den Sinn kommt
ein abruptes durch die Haare Streichen
ein Zeichen der Beherrschung, als ginge es um die Gesetzestafeln, nach denen Moses fasst
droht, den Text fallen zu lassen -
noch ist das Totengedenken, um das hier gestritten wird, nicht allein das eines würdigen Gedenkens vor einer kleinen, unbedeutenden Familiengruft, sondern ein Eingedenksein auf dem weiten
Friedhof Deutschland und Europas.
Mit „das“ ist gemeint, das Andenken des Vaters oder des Großvaters in den Schmutz zu ziehen, durch kindische Art lächerlich zu machen oder herabzusetzen:
Gemeint ist, nicht nur das Andenken zu verderben
sondern auch die Schriften und Publikationen, die in Privatbriefen geäußerten Ansichten zu verunstalten und oder verunglimpfend herabzusetzen.
Darunter versteht sich – stillschweigend bescheiden - eine mitschwingende Verpflichtung / Vernichtung – in der kaum ausgesprochenen Annahme, dass das Urteil des pietätvoll Gedenkenden, das allein Richtige ist.
Wer sich in meiner Weise den Philosophen und ihren politischen geschichtlichen Publikationen in der NS -Zeit und in den nachfolgenden Jahrzehnten widmet, bricht, verletzt und zerstört die Trauerarbeit desjenigen, der es richtig macht.
Zu diesem schwerwiegenden Vorwurf des falschen deplazierten Totengedenkens „gesellt“  sich  ausserdem der Vorwurf einer fehlenden Aussage, eines Schuldbekenntnis seitens der Täter.
Denn zu den Tätern und der Tätergeneration, der von Wolfgang Ritzel undMartin Heidegger angehören, fehlt ein und vielmehr DAS Schuldeingeständnis.
Es wird von den vornehm Schweigenden
eine Art Selbstbezichtigung des Philosophen erwartet,
um nicht zu sagen: gefordert, weil es, so meint man, scheint es, zum Wesen des Philosophen gehört, Rechenschaft über sich, über die Folgen des eigenen politischen Handelns - oder über die Kon- sequenzen eines unterlassenen Handelns - und natürlich über DAS Handeln als geschichtliche Einheit abzulegen.
Zumindest wird eine Äusserung erwartet, die über die üblichen oberflächlichen vernebelnden Stellungnahmen zum Holocaust hinausgeht und welche erlauben würde, uns, den heute Lebenden, erlauben würde, mit der Zeit des Nationalsozialismus, mit der Vergangenheit des Krieges oder auch nur den Traumatas, den Folgen von Deportation und Vernichtung der Folgen dieser Zeit den Sequelles abzuschliessen
In der Hoffnung
dass Aussprechen und Begrifflichmachen zur Verständlichkeit des Nichtzuverstehenden
dass es - seitens der Philosophen
zu einer wirklichen (hegelianisch anmutenden) begrifflichen umfassenden Aufarbeitung gekommen sei, in der
ein Sich selber Schildern und ein Einschätzen ein umfassendes Abbild des Geschehens ebenso dazugehört wie ein Theoriebild. Eine Theoretisierung
welches NICHT NUR das Zustandekommen des Nationalsozialismus in sozialer politischer
aber auch den Rasse..“wahn“
und in beidem eingeschlossen das Vernichtungssystem
benennt, aufarbeitet, einordnet, gliedert und auf diese Weise den Exzess der Zerstörung endlich fasslich - begrifflich macht.
Fast liesse sich vermuten, dass beides - das falsche Totengedenken und das keine „Stellungbeziehen“ zum Holocaust -
zur Massenvernichtung der Endlösung und der mörderischen Be- satzungsregime, die das Dritte Reich in den europäischen Ländern errichtete - dazu gehört. Teil ihrer Machenschaft ist - oder schlicht und ergreifend:
Ein und dasselbe ist.

Er habe, sie haben - Wolfgang Ritzel habe, so lautet der Vorwurf,
nicht öffentlich Stellung bezogen; Heidegger habe geschwiegen.
Die Doppeldeutigkeit ....das doppelte Mouvement
von Anklage und würdigem Gedenken, in das sich juristische Überlegungen mischen.
Denn die Geschichtsbetrachtungen, Rekonstruktionen sind von einer Natur des "Verbrechens gegen die Menschlichkeit“ mit der Konsequenz, dass sich unter ihnen Tatbestände, Namen Zeiten sich durchaus welche finden lassen müssen, die sich zu juristischen Anklagen im präzisesten Falle ausarbeiten lassen. oder hätten lassen müssen.